Dezember 2008 Wir sitzen in einem Restaurant in Buenos Aires. Nele ist zu Besuch aus Deutschland in Argentinien. Ein Freund erzählt uns von deutschen Kolonien aus dem 19. Jahrhundert in der Provinz Misiones. Er zeichnet eine Landkarte auf die Rückseite der Speisekarte und markiert die Zonen mit den Kolonien. Nele überlegt, nach Argentinien zu ziehen, und im Scherz schlägt sie vor, diese Kolonisten zu suchen und zu gucken, was ihnen nach der Immigration passiert ist. Der deutschstämmige Ricardo Bär lebt im Nordosten Argentiniens in einer entlegenen baptistischen Gemeinde, wo man Portunal – eine Mischung aus Spanisch und. Der deutschstämmige Ricardo Bär lebt im Nordosten Argentiniens in einer entlegenen baptistischen Gemeinde, wo man Portunal - eine Mischung aus Spanisch. Ricardo Bär FilmMit der Speisekarte reisen wir kreuz und quer durch die Provinz. Wir erkennen „die Deutschen“ in den Städten von weitem am blonden Haar, aber wenn wir sie ansprechen, reagieren sie schüchtern. Wir denken, vielleicht ist es einfacher auf dem Land, wenn wir direkt auf ihre Höfe gehen. So landen wir auf dem Hof des Alten Reiss in Colonia Aurora. Er begegnet uns misstrauisch, aber als Nele ihn auf Deutsch begrüßt, lädt er uns auf die Veranda ein. Über dem Eingang seines Holzhauses steht auf Deutsch: Jesus liebt dich. Er spricht mit schlesischem Dialekt und verwendet eingedeutschte spanische Verben. Statt abhauen sagt er escapieren. Der Hof der Reiss ist wie ein uraltes Mini-Deutschland unter Palmen. Wir bleiben in Aurora. Der Alte Reiss lädt uns für Heiligabend in seine Kirche ein, aber als wir auf seinen Hof kommen, ist er schon weggefahren. Wir wissen nicht, was tun. Wir haben kein Auto und die Sonne steht schon tief. Wir laufen zur Tankstelle, um etwas zu trinken. Von dort aus beobachten wir, wie eine Menge Pick-up’s vor einer anderen Kirche parken, etwas weiter entfernt. Das sind Baptisten, sagt man uns in der Tankstelle. Gerardo sagt, Obama ist Baptist, mehr wissen wir nicht. Wir setzen uns in die letzte Reihe und sehen das Krippenspiel: Jesus ist eine Puppe und die Tiere Kinder mit billigen Plastikmasken. Andauernd geht der Vorhang auf und zu. Das Spiel ist minimalistisch. Die Jugendlichen stehen auf der Bühne und bewegen den Mund zu einer Stimme, die hinter einem Vorhang versteckt vorliest. Das Spiel ist geprägt von tiefem Ernst. Was auf den ersten Blick wie schlichtes Laientheater wirkt, ist ein empathisches Reenactment, ein Dokumentartheater über den Ursprung ihres Glaubens. Später in der Nacht stellen wir uns vor, einen Dokumentarfilm wie ein Krippenspiel zu inszenieren, und mit der gleichen spielerischen Freiheit ein reales Ereignis darzustellen, wie sie es tun. Dezember 2010 Zwei Jahre später kommen wir mit einer Kamera und verfolgen die Vorbereitungen fürs Krippenspiel. Wir filmen einen der Jugendlichen, Ricardo, der auf seinem Hof die Krippe baut. Er sagt, dass seine Augen so blau seien, weil er soviel in den blauen Himmel schaut. Er macht eine Ausbildung zum Pastor. Zweimal die Woche nimmt er den Bus zum Baptisten-Institut in der Provinzstadt. Sein Vater ist dagegen, er braucht ihn auf dem Hof. Aber gegen eine Berufung durch Gott komme sein Vater nicht an, sagt Ricardo. Eines Tages begleiten wir ihn ins Institut. Ricardo BärIm Bus bitten wir ihn für die Kamera zu spielen: er soll schläfrig tun und die Gardine zuziehen. Er versteht auf Anhieb was wir von ihm wollen, es macht ihm Spaß, genau wie im Krippenspiel. Wir beginnen, kleine Handlungen aus seinem Alltag mit ihm nachzuinszenieren. April 2011 Eines Tages kann der Pastor nicht zum Gottesdienst kommen und Ricardo soll zum ersten Mal die Sonntagspredigt halten. Vor dem Gottesdienst werden wir von der Gemeinde aufgefordert zu erklären, was wir filmen wollen. Wir steigen auf den Altar, skeptische Blicke treffen uns. Wir wissen nicht, wie wir ihnen sagen sollen, dass wir nicht nach einem vorgefassten Plan arbeiten, sondern uns von Ricardo leiten lassen wollen. Wir werden nervös. Gerardo macht Witze, die keiner versteht und Nele bringt kein einziges Wort raus. Trotzdem dürfen wir Ricardos Predigt filmen. Er spricht über Martin Luther. Ricardo Bär TrailerWir laufen mit der Kamera auf dem Altar herum und filmen alles: ihn, die Gemeinde. Seine Hände fangen an zu zittern, aber das bemerken wir nicht. Immer öfter verhaspelt er sich. Nach dem Gottesdienst will er mit uns sprechen und wir gehen hinter die Kirche. Er sagt, er habe heute beim Beten die Stimme Gottes gehört und Gott habe ihm gesagt, seine Zukunft läge nicht in der Schauspielerei. Wir sind ratlos.
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